Zweckbindung im Datenschutzrecht


Zur Zweckbindung im Datenschutzrecht und des Löschungsanspruchs für zweckwidrige Datenspeicherungen

Ein aktueller Fall des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Entscheidung vom 27.05.2013, Az. 2 K 3249/12) ist ein schönes Beispiel dafür, was die Zweckbindung im Datenschutzrecht bedeutet und welche Konsequenzen die Erledigung des Erhebungs- und Speicherungszwecks hat.

Einer der wichtigsten Grundsätze des europäischen und deutschen Datenschutzrechts ist der Zweckbindungsgrundsatz. Dieser besagt, dass personenbezogene Daten nur für von vornherein festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden dürfen und im Nachhinein nicht in einer mit diesen Zweckbestimmungen nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden dürfen. Dieser Grundsatz kommt im Bundesdatenschutzgesetz an vielen Stellen zum Ausdruck, z.B. in § 4 Abs. 3 BDSG, § 14 Abs. 1 BDSG oder in § 28 Abs. 1 S. 2 BDSG.

Wie so oft in der Juristerei (und bei vielen anderen Dingen im Leben…) gibt es keinen Grundsatz ohne Ausnahme: In bestimmten, vom Gesetz definierten Fällen ist eine Datenverarbeitung für einen anderen (als den ursprünglich bei der Datenerhebung verfolgten) Zweck zulässig. Solche Fälle der erlaubten Zweckänderung finden sich z.B. in § 14 Abs. 2 BDSG oder § 28 Abs. 2 BDSG. Einer der prominentesten Fälle der Zweckänderung findet sich in § 28 Abs. 3 Nr. 1 BDSG, wenn ursprünglich zum Abschluss oder der Abwicklung eines Vertrages erhobene und gespeicherte Daten (unter bestimmten Voraussetzungen) nun AUCH für Werbezwecke genutzt werden dürfen. Trotz des Ausnahmecharakters ist zu erahnen, dass aufgrund der recht breit formulierten Ausnahmevorschriften eine Zweckänderung doch recht häufig in der Praxis vorkommen kann.

Personenbezogene Daten, welche ausschließlich zum Zweck der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, unterliegen einer strengen Zweckbindung, welche keine Ausnahmen zuläßt (siehe etwa § 31 BDSG oder § 14 Abs. 4 BDSG).

Rechtsfolge einer unerlaubten Zweckänderung ist die Löschung der (quasi zweckveränderten) Daten, welche für diese „neuen“ Zwecke rechtswidrig gespeichert werden (§ 35 Abs. 2 Nr. 1 BDSG für den nichtöffentlichen Bereich, § 20 Abs. 2 Nr. 1 BDSG für den öffentlichen Bereich). Hat sich darüber hinaus auch der „ursprüngliche“ Zweck der Erhebung und Speicherung der personenbezogenen Daten zwischenzeitlich erledigt, d.h. ist eine Speicherung der Daten zur Erreichung des Erhebungszwecks nicht mehr erforderlich (Bsp: Bestellung des Kunden wurde abgewickelt, Interessent hat Newsletter abbestellt, dem Bewerber wurde abgesagt usw.) und bestehen keine speziellen Aufbewahrungsfristen für die Daten, so sind diese Daten gem. § 35 Abs. 2 Nr. 3 BDSG (bzw. § 20 Abs. 2 Nr. 2 BDSG für den öffentlichen Bereich) zu löschen.

Diesen Löschungsanspruch kann der Betroffene auch gerichtlich durchsetzen – wie geschehen im Fall vor dem VG Karlsruhe. Da es im vorliegenden Fall um Löschungsansprüche gegen eine Landesbehörde geht, sind die Vorschriften des Landesdatenschutzgesetzes (Baden-Württemberg) anwendbar und das Verwaltungsgericht das sachlich zuständige Gericht.

RA Steinle, LL.M., Fachanwalt für IT-Recht, Externer Datenschutzbeauftragter (IHK), Karlsruhe

Anbei die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31.05.2013 (Hinweis: § 15 LDSG BW entspricht weitgehend dem § 14 BDSG, § 23 Abs. 1 LDSG BW entspricht weitgehend dem § 20 Abs. 2 BDSG, der Sachverhalt ist in den Grundsätzen auch auf eine Datenverarbeitung durch nichtöffentliche Stellen – also etwa durch Unternehmen – übertragbar):

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat das Land Baden-Württemberg verpflichtet, drei Dateien mit „Arbeitskopien“ des Outlook-Postfachs des früheren Ministerpräsidenten Stefan M. sowie sämtliche Kopien dieser Dateien zu löschen, nachdem diese dem Landesarchiv zur Übernahme als Archivgut angeboten worden sind. Die – auf vorbehaltlose Löschung gerichtete – Klage von Stefan M. hatte somit überwiegend Erfolg, was in der Kostenentscheidung des Urteils zum Ausdruck kommt (3/4 der Kosten hat das Land zu tragen).

Im Herbst 2010 erstellte ein Mitarbeiter des IT-Bereichs des Staatsministeriums eine Kopie des auf dem Server dieses Ministeriums liegenden und Stefan M. zugewiesenen Original-Outlook-Postfachs. Dies geschah, weil technische Probleme bezüglich des elektronischen Terminkalenders dieses Postfachs aufgetreten waren. Nachdem der Fehler nicht hatte gefunden werden können, blieben die kopierten Postfach-Daten gespeichert. Demgegenüber wurden die Original-E-Mail-Accounts von Stefan M. nach dem Regierungswechsel auf dem Server des Staatsministeriums (endgültig) gelöscht. Erst im Sommer 2012 wurde das Staatsministerium auf die nach seinen Angaben zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen kopierten Dateien wieder aufmerksam.

Zur Begründung seines Anspruchs auf Löschung dieser Dateien mit „Arbeitskopien“ seines früheren Outlook-Postfachs macht Stefan M. geltend, personenbezogene Daten in Dateien seien nach dem Landesdatenschutzgesetz – LDSG – zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr erforderlich sei. Dem hält das beklagte Land entgegen, sowohl die Speicherung der Dateien als auch deren Nutzung seien zur Erfüllung staatlicher Aufgaben erforderlich. Da Stefan M. seine dienstliche E-Mail-Korrespondenz nicht vollständig zu den Sachakten genommen habe, bedürfe es einer Auswertung des E-Mail-Postfachs. Dies gelte insbesondere für Vorgänge im Zusammenhang mit dem Ankauf von EnBW-Anteilen im Dezember 2010.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt:
Stefan M. habe nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Landesdatenschutzgesetz – LDSG – Anspruch auf Löschung der Daten in den von seinem damaligen Outlook-Postfach gefertigten „Arbeitskopien“, denn die Kenntnis dieser (unstreitig) personenbezogenen Daten sei für die speichernde Stelle (das Staatsministerium) zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr erforderlich. Dies ergebe sich – ausschlaggebend – daraus, dass § 15 Abs. 4 LDSG einer Nutzung der Daten für den vom Land allein noch vorgesehenen Zweck, nämlich die Auswertung des kopierten E-Mail-Accounts auf aktenrelevante Vorgänge, entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift dürften personenbezogene Daten, die – wie im vorliegenden Fall – ausschließlich zum Zweck der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert würden, nur für diesen Zweck genutzt werden. Sinn und Zweck dieser strikten Zweckbindung sei es, eine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zum Betroffenen und der Datensicherheit zu verhindern. Andernfalls würde die Akzeptanz der Erstellung von Sicherheitskopien im Hinblick auf die damit verbundene Ausweitung der Datenvorhaltung sinken, was der Datensicherheit abträglich wäre. § 15 Abs. 4 LDSG sei als Spezialvorschrift anzusehen, weshalb es nicht darauf ankomme, ob eine der in § 15 Abs. 2 LDSG aufgeführten Voraussetzungen für das weitere Speichern und Nutzen personenbezogener Daten für andere als die mit der ursprünglichen Speicherung verfolgten Zwecke vorliege.

Ohne Erfolg berufe sich das Land daher darauf, es müssten mit Hilfe der kopierten E-Mail-Postfachdaten möglicherweise unrichtige Angaben von Stefan M. überprüft werden (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 LDSG). Da § 15 Abs. 4 LDSG eingreife, sei es auch ausgeschlossen, die Daten im Hinblick auf die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße von Stefan M. auszuwerten.

Vor der von Stefan M. somit grundsätzlich zu Recht beanspruchten Löschung der Dateien seien allerdings die Daten gemäß § 23 Abs. 3 LDSG dem Landesarchiv zur Übernahme als Archivgut nach Maßgabe des § 3 Landesarchivgesetz anzubieten. Der in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende „Vorrang des Archivrechts“ vor dem allgemeinen Datenschutzrecht begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; denn dem Schutz der Persönlichkeit von Stefan M. werde nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes hinreichend Rechnung getragen. Stefan M. komme auch der Schutz des § 3 Abs. 2 S. 3 Landesarchivgesetz zugute. Danach seien die anbietungspflichtigen Unterlagen zu vernichten, wenn das Landesarchiv die Übernahme ablehne oder nicht innerhalb eines Jahres über die Übernahme entschieden habe. Diese Jahresfrist sei derzeit noch nicht abgelaufen.

Das Urteil vom 27.05.2013 – 2 K 3249/12 – ist nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können hiergegen beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung einlegen.

Quelle: Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31.05.2013